Während der ganzen Zeit in der ich unterrichte ist es nicht nur einmal zu folgender Situation gekommen: eine Mama stand mit einem 16 jährige Teenie vor mir und sagte: “Meine Tochter möchte Tänzerin werden. Ich war mit ihr bei mehreren staatlichen Schulen und sie haben sie nicht genommen. Wir sind ganz verzweifelt…
Unsere Philosophie
Nicht jedes Kind will Tänzer*in werden, doch sollten alle die Chance dazu haben.
Philosophie
… Dabei macht sie seit ihrem 4.Lebensjahr Ballett. Und sie war an ihrer alten Ballettschule eine der Besten. Sie hat immer Solorollen getanzt in den Schulaufführungen. Und die Lehrerin war auch immer so nett,hat nie mit ihr geschimpft,dass irgend etwas nicht richtig sei. Und jetzt das… Können Sie mal einen Blick auf meine Tochter werfen?“
Das Erscheinungsbild dieses eigentlich bildhübschen Mädchens hatte nicht viel mit Ballett zu tun: ihre Haare hatte sie mit einem einzigen Haargummi irgendwie hoch gebunden. Die Strumpfhose schien aus irgend einem Kaufhaus und der „Ballettanzug“ schien ein privat ausrangierter Body zu sein.
Und in einer Probestunde zeigte sich auch tänzerisch das schon oftmals gesehene traurige Bild:
was es braucht
Die Natur hatte ihr alles gegeben, was man für den Beruf der Balletttänzerin braucht – ein sehr großes „en dehors“ (die Auswärtsdrehung der Beine, die durch die anatomische Hüftstellung vorgegeben ist), einen hohen Spann mit sehr kräftigen Fußgelenken (ein „Muss“ ‚um korrekt auf der Spitze zu stehen), schöne, gestreckte Beine und genügend Flexibilität im Körper, doch das arme Mädchen hatte nichts richtig in ihrer Ballettschule gelernt.
Sie hatte nie gelernt ihre Knie zu strecken, sie stand in den auswärts gedrehten Ballettpositionen nur auf den Innenkanten der Füße und es fehlte ihr Kraft ohne Ende in Bauch- und Rückenmuskeln. Kurz zusammen gefasst fehlte es ihr an Dingen, die meine kleinen 8/9 jährigen Kinder schon um Längen besser machen.
Was erwarten Sie?
Und nun kam wieder mein Problem. Wie sage ich einer liebenden Mutter, dass sie jahrelang für nichts Geld ausgegeben hat?
Natürlich habe ich es so schonend wie möglich getan. Doch ohne Wut von Seiten der Mutter und vor Allem ohne bittere Tränen des Mädchens ging es nicht. Aber so eine Situation muss nicht sein.
Ich vergleiche Ballett gern in unserer Fußballnation mit diesem deutschen Lieblingssport. Ich tue es ‚weil jetzt bestimmt viele Eltern und andere, die meine letzten Zeilen gelesen haben innerlich denken:
“Was soll das ganze? Mein Kind soll eh nicht Tänzer*in werden. Lasst sie einfach Spaß haben, ein hübsches Kostüm anziehen und Oma und Opa die Fotos unseren Hobby-Tänzern zeigen.“
Doch dann fragen Sie sich selbst: Was erwarten Sie, wenn Sie Ihren Sohn oder ihre Tochter in einen Fußballverein schicken? Sollen sie einfach Spaß haben, irgend welche alten Jogginghosen tragen, sich mit Teamkollegen um den Ball raufen, um ihn dann irgendwie ins Tor zu donnern.
Anhand eines Beispiels
Jetzt werden die meisten von Ihnen protestieren: „Nein, der Vereinstrainingsanzug ist ein Muss. Außerdem ist er vorgeschrieben und man will doch nicht, dass das eigene rausgeworfen wird aus dem Team. Außerdem ist Gleichheit in einem Team für den Teamgeist wichtig. Und selbstverständlich sollen sie die Fußballregeln kennen – logisch. Der Trainer darf auch schon mal meckern wenn die Jungens oder Mädchen nicht korrekt spielen oder beim Training nur Blödsinn machen. Alles andere ist doch unsinnig, dann braucht man nicht ein oder mehrmals pro Woche den Verein zu besuchen, sondern kann „Hinterhof-Fußball“ spielen. Ja und dann sollen sie natürlich auch zumindest die berühmtesten Fußballspieler(innen) kennen.“
Und nach Ihren Erwartungen werden Sie trotzdem sagen, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter wahnsinnig gern Fußball spielen und Kritik des Trainers hin und wieder Ihre Kinder eigentlich nur anspornt. Auch da erwarten Sie nicht, dass Fußballprofis aus ihnen werden.
Und ich stimme Ihnen aus vollem Herzen zu! Mögen Fußball und Ballett noch so unterschiedlich sein, gibt es doch einige Parallelen:
Stollen und Spitzenschuh kommen
auf einen Nenner
- Beide sind Hochleistungssport
- Mannschaftskleidung bzw. einheitliche Ballettbekleidung schafft Zusammengehörigkeitsgefühl und fördert den gemeinsamen Erfolg — den Sieg eines Fußballspiels/eine erfolgreiche Ballettvorstellung
- Fußballregeln, richtige Balltechnik und Konzentration im Training und auch ab und zu Kritik sind wichtig um Erfolge zu erzielen. Genauso beim Ballett; es gibt auch da gewisse Regeln, wenn es um erlernen von Technik geht. Und dazu gehören auch immer wieder Korrekturen. Im Fußballverein scheint das logisch, doch wenn es um Tanz geht (egal welche Stilrichtung) meinen immer wieder viele Eltern, Schüler und — so traurig es ist — viele Ballettlehrer selbst „Spagat“ ‚„Spitzenschuhe“ und ein „Tutu“ reichen aus um Ballerina (auch, wenn es „nur“ ein Hobby ist) zu sein.
- Fußballlegenden wie Franz Beckenbauer, Ehemalige wie Lothar Matthäus, Michael Ballack und aktuelle Stars wie Lionel Messi und Marco Reus „muss“ und wird jedes fußballbegeisterte Kind kennen. Schließlich will er oder sie im besten Fall so gut sein wie einer von denen. Klappt es nicht können sie trotzdem stolz auf sich sein, denn sie haben es versucht. Und die Ballettkinder? Rudolf Nurejew, Anna Pawlowa sind auch Legenden, Mikhail Baryshnikov, Sylvie Guillem, Ethan Stiefel weltbekannte Stars. Polina Semionova eine der besten Tänzerinnen von heute. Aber welches Ballettkind kennt sie? Wie sollen diese Kinder Idole finden, wenn sie sie nicht kennen? Da Ballett kein Breitensport ist und nur selten auf Kultur orientierten Fernsehsendern übertragen wird, müssen hier Eltern und Kinder selbst aktiv werden Informationen zu bekommen. Und da sollte an erster Stelle der/die Ballettlehrer*in Ansprechpartner sein. Er/sie kann Informationen geben, wo man Literatur über Ballett, Ballettmusik oder Vorstellungen in Theatern zu sehen bekommt, damit auch diese Kinder Vorbilder haben und die Kunst des Tanzes verstehen, was es wirklich heißt „Ballerina“ zu sein.
Fazit
Und mit diesem Satz kann schlage ich den Kreisbogen zu oben genanntem Mädchen mit ihrer Mama. Hätte ihre alte Ballettschule ihr beigebracht „über den Tellerrand hinaus zuschauen“, etwas mehr konstruktive Kritik an ihr geäußert, statt nur zu loben wären sie und ihre Mutter wahrscheinlich nicht so verzweifelt gewesen. Entweder sie wäre ihrem Wunsch und begabten Körper nach eine Berufstänzerin geworden oder hätte schon früh erkannt, dass Ballett zwar ein wundervolles Hobby ist aber für einen Beruf ihr die Anstrengung zu groß sei. Demnach hätte sie vermutlich weiter Ballett auf hohem Niveau gemacht als Ausgleich zur Schule, immer wissend: sie hätte sich ihren Traum erfüllen können, wenn sie gewollt hätte.